Ein Rundgang im musealen Teil

Zu Ostwalds Zeiten waren im Haus "Energie" alle Zimmer des Erdgeschosses untereinander verbunden, so konnte sich der Hausherr seine Gedanken "erlaufen". In den meisten Räumen standen Arbeitstische. Damit war die Möglichkeit gegeben, je nach Stimmung und Tageszeit unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen zu arbeiten. Diese Aufteilung ist nicht erhalten geblieben. Der Wohnraumbedarf führte zur Abtrennung von Räumen und heute ist die ursprüngliche Anordnung nur in den Museumsräumen erkennbar. Im Hausflur empfängt Ostwald persönlich. Eine lebensgroße Fotografie zeigt ihn bei handwerklicher Arbeit. Gegenüber hängt eine Schautafel zur Entwicklung des Ostwald-Brauerschen Salpetersäure-Verfahrens, gleichsam eine Erinnerung an die prinzipielle Praxisorientierung ostwaldscher Forschungen.

Ölbild von Wilhelm Ostwald: Die NiagarafälleIm Korridor des Museums trifft der Besucher auf Pastellbilder von den Niagara-Fällen. Sie entstanden in Großbothen nach Vorlagen, die Ostwald 1904 während seiner zweiten USA-Reise vor Ort in Öl ausführte. Das Museum verfügt über etwa 1.000 Landschaftsbilder und etwa 3.000 Farbskizzen aus Ostwalds Hand. Er malte zur Entspannung. Der Malkasten war unabdingbarer Begleiter jeder Erholungsreise und fast immer konnten nach vier-fünf Maltagen erste Regenerierungserfolge nach Hause gemeldet werden.

Wenig bekannt ist, dass die Landschaftsbilder durchweg aus der Zeit vor 1914 stammen. Danach, in den Jahren der Entwicklung seiner Farbenlehre, entstanden die Blumenskizzen zur Darstellung von Farbwirkungen und Harmonien. Seinen Kritikern war das ein weiterer Grund für die Ablehnung der Farbenlehre - sie stammte von einem, "der Blümchen malt"!

Vom Korridor führt eine Tür in das ehemalige Wäschezimmer. Heute befindet sich in diesem Raum die Museumsleitung sowie ein Teil der Gelehrtenbibliothek.

Der Rundgang führt in das Labor mit deckenhohen Schränken und einem gewaltigen Arbeitstisch. Die Schränke waren zu Ostwalds Zeiten Regale zur Aufbewahrung von Chemikalien. Nach seinem Ableben wurden sie mit Türen versehen. Sie enthalten Geräte, Bilder und einen Teil der Schriften des Hausherren. 45 z.T. mehrbändige Bücher entstammen seiner Feder. Viele erlebten mehrfache Überarbeitungen und Neuauflagen. Das umfangreichste Werk ist die zweite Auflage seines Lehrbuches der allgemeinen Chemie mit über 3.000 Seiten. Die Schule der Chemie wird bis zur Gegenwart in Japan verlegt.
Blick ins LaborZu den Büchern kommen hunderte, teilweise recht umfangreiche Artikel, die vielfach auch als Sonderdrucke erschienen sind, tausende von Rezensionen in den von Ostwald gegründeten Zeitschriften für physikalische Chemie, für Naturphilosophie, in der Zeitschrift Die Farbe u. a. Artikel in der Tagespresse usw. Der Gesamtumfang seines Schrifttums ist noch nicht bekannt. Die wissenschaftliche Schriftstellerei sicherte Ostwalds Lebensunterhalt nach dem Ausscheiden aus der Universität und ermöglichte im Fall besonders großer finanzieller Zugänge den Erwerb eines weiteren Stückes Bauernland zur Abrundung des Landsitzes Energie. Die Mittel aus dem Nobelpreis sind ausnahmslos in die Wissenschaft zurückgeflossen.

Der gewaltige Labortisch wurde von Ostwald wirklich genutzt, wie eine Fotografie belegt. Allerdings war der Tisch seinerzeit nicht so gut aufgeräumt wie heute. Aufmerksamkeit erregt, mit welchen primitiven, selbstgefertigten Gerätschaften Ostwald seine Untersuchungen gemacht hat. Einige Vitrinen enthalten Schriftstücke, Briefe und Fotos. Ostwald hatte im Lauf der Jahre Kontakt mit über 5.000 Briefpartnern. Der schriftliche Nachlass umfasst über 60 000 Autografen. Darunter befinden sich Korrespondenzen mit mehr als hundert Schriftstücken, aber auch Anfragen zu Veröffentlichungen, Stellengesuche, Bitten um Bereitstellung von Laborplätzen usw. Die umfangreichsten Briefwechsel sind die mit den Verlegern und Ostwalds langjährigen Freunden Arrhenius, van't Hoff und Ramsay. Die gesamte Korrespondenz wird im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin aufbewahrt.
Rechts neben der Tür zur Terrasse steht ein Relief des Wissenschaftlers, von seinen Schülern 1897 anlässlich der Übernahme des neuen Institutsgebäudes in Leipzig in Auftrag gegeben. Links neben der Tür gibt eine Tafel Auskunft über wesentliche Daten in Ostwalds Leben. Darüber ist ein Laborbuchzitat Ostwalds zu lesen: Gute Theorie muss alsbald zur Praxis führen. Man kann ihren Wert geradezu daran ermessen.

Die NobelpreisurkundeDer nächste Raum auf unserem Rundgang befindet sich bereits auf der Südseite des Hauses und öffnet den Blick durch die Flucht der Bibliothekszimmer. Als kleine Bibliothek enthält er Bände der Zeitschrift für physikalische Chemie, die Reihe Klassiker der exakten Wissenschaften, die Folge Große Männer und ostwaldsche Werke zur Naturphilosophie, außerdem Periodika, Berichte wissenschaftlicher Gesellschaften u. a. Eine Vitrine birgt die Kopien von Nobelpreisurkunde und -medaille. Daneben erinnern Versuchsanordnungen an die katalytische Ammoniakoxydation zu nitrosen Gasen als Ausgangsmaterial für die Salpetersäuregewinnung und an Ostwalds Untersuchungen zur periodischen Aktivierung und Deaktivierung von Metallen aus der Zeit um 1900, die heute Bedeutung in der Korrosionsforschung gefunden haben.
 
 In der anschließenden großen Bibliothek befindet sich der überwiegende Teil der 14.000 Titel in 22.000 Bänden umfassenden Gelehrtenbibliothek. Über 40% davon Blick in die große Bibliothekstammen aus der Zeit vor 1900. Die Bände stehen unverändert in der von Ostwald gewählten Anordnung. Ein PC erleichtert heute das Auffinden eines gesuchten Bandes. In mehreren Vitrinen wird auf Arbeitsgebiete Ostwalds zwischen 1906 und 1914 Bezug genommen: die Weltspracheproblematik, die Weltfriedensbewegung, die Gründung bzw. Mitarbeit in diversen internationalen Organisationen, die Arbeit im Monistenbund und andere mehr.

Das folgende Zimmer enthält im wesentlichen zwei Vitrinen zu der von Ostwald gegründeten Institution Die Brücke - internationales Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit in München, die als weltweite Auskunfts- und Standardisierungsstelle konzipiert war, sowie zu Kontakten mit wissenschaftlichen und politischen Zeitgenossen.

Im letzten Zimmer dominiert die Farbe, soweit dafür neben den Bücherregalen Platz bleibt. Farborgeln mit genormten Farben - die größte enthält 2.520 Proben, Doppelkegel und FarborgelFarbkästen, Ausfärbungen auf Wolle und Seide, Instrumentarien zum Farbvergleich für Altöle und Kakao, Hautfächer, Farbkarten für Blütenfarben sind nur einige der seinerzeit in Großbothen entwickelten und hergestellten Anwendungen der ostwaldschen Farbenlehre. Daneben sind Beispiele von Eigenbau-Instrumenten des Hausherren zu bewundern - auf einem Stück Kistendeckel eine zylindrische Pappkonstruktion zum Farbenvergleich und daneben der Nachbau in Metall und Glas aus der Werkstatt des einstmaligen Leipziger Institutsmechanikers Köhler.

Etwa 90 Minuten dauert eine normale Führung. Wenn man es darauf anlegt und die Museumsleiterin zum Öffnen der Schränke animiert, können es auch drei und mehr Stunden werden.

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