Zu Ostwalds Zeiten waren im Haus "Energie" alle Zimmer des Erdgeschosses untereinander verbunden, so konnte sich der Hausherr seine Gedanken "erlaufen". In den meisten Räumen standen Arbeitstische. Damit war die Möglichkeit gegeben, je nach Stimmung und Tageszeit unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen zu arbeiten. Diese Aufteilung ist nicht erhalten geblieben. Der Wohnraumbedarf führte zur Abtrennung von Räumen und heute ist die ursprüngliche Anordnung nur in den Museumsräumen erkennbar. Im Hausflur empfängt Ostwald persönlich. Eine lebensgroße Fotografie zeigt ihn bei handwerklicher Arbeit. Gegenüber hängt eine Schautafel zur Entwicklung des Ostwald-Brauerschen Salpetersäure-Verfahrens, gleichsam eine Erinnerung an die prinzipielle Praxisorientierung ostwaldscher Forschungen.
Im Korridor
des Museums trifft der Besucher auf Pastellbilder von den Niagara-Fällen.
Sie entstanden in Großbothen nach Vorlagen, die Ostwald 1904 während
seiner zweiten USA-Reise vor Ort in Öl ausführte. Das Museum verfügt über etwa
1.000 Landschaftsbilder und etwa 3.000 Farbskizzen aus Ostwalds Hand. Er malte
zur Entspannung. Der Malkasten war unabdingbarer Begleiter
jeder Erholungsreise und fast immer konnten nach vier-fünf Maltagen erste
Regenerierungserfolge nach Hause gemeldet werden.
Wenig bekannt ist, dass die Landschaftsbilder durchweg aus der Zeit vor 1914 stammen. Danach, in den Jahren der Entwicklung seiner Farbenlehre, entstanden die Blumenskizzen zur Darstellung von Farbwirkungen und Harmonien. Seinen Kritikern war das ein weiterer Grund für die Ablehnung der Farbenlehre - sie stammte von einem, "der Blümchen malt"!
Vom Korridor führt eine Tür in das ehemalige Wäschezimmer. Heute befindet sich in diesem Raum die Museumsleitung sowie ein Teil der Gelehrtenbibliothek.
Der Rundgang führt in das Labor mit deckenhohen
Schränken und einem gewaltigen Arbeitstisch. Die Schränke waren zu Ostwalds
Zeiten Regale zur Aufbewahrung von Chemikalien. Nach seinem Ableben wurden sie
mit Türen versehen. Sie enthalten Geräte, Bilder und einen Teil der Schriften des Hausherren. 45 z.T.
mehrbändige Bücher entstammen seiner Feder. Viele erlebten mehrfache
Überarbeitungen und Neuauflagen. Das umfangreichste Werk ist die zweite Auflage
seines Lehrbuches der allgemeinen Chemie
mit über 3.000 Seiten. Die Schule der Chemie
wird bis zur Gegenwart in Japan verlegt.
Zu den
Büchern kommen hunderte, teilweise recht umfangreiche Artikel, die vielfach
auch als Sonderdrucke erschienen sind, tausende von Rezensionen in den von
Ostwald gegründeten Zeitschriften für
physikalische Chemie, für Naturphilosophie, in der Zeitschrift Die Farbe u. a. Artikel in der Tagespresse
usw. Der Gesamtumfang seines Schrifttums ist noch nicht bekannt. Die
wissenschaftliche Schriftstellerei sicherte Ostwalds Lebensunterhalt nach dem
Ausscheiden aus der Universität und ermöglichte im Fall besonders großer
finanzieller Zugänge den Erwerb eines weiteren Stückes Bauernland zur Abrundung
des Landsitzes Energie. Die Mittel
aus dem Nobelpreis sind ausnahmslos in die
Wissenschaft zurückgeflossen.
Der gewaltige Labortisch wurde von
Ostwald wirklich genutzt, wie eine Fotografie belegt. Allerdings war der Tisch
seinerzeit nicht so gut aufgeräumt wie heute. Aufmerksamkeit erregt, mit
welchen primitiven, selbstgefertigten Gerätschaften Ostwald seine
Untersuchungen gemacht hat. Einige Vitrinen enthalten Schriftstücke, Briefe und
Fotos. Ostwald hatte im Lauf der Jahre Kontakt mit über 5.000 Briefpartnern. Der schriftliche Nachlass
umfasst über 60 000 Autografen. Darunter befinden sich Korrespondenzen mit mehr
als hundert Schriftstücken, aber auch Anfragen zu Veröffentlichungen,
Stellengesuche, Bitten um Bereitstellung von Laborplätzen usw. Die
umfangreichsten Briefwechsel sind die mit den Verlegern und Ostwalds
langjährigen Freunden Arrhenius, van't Hoff und Ramsay. Die gesamte
Korrespondenz wird im Archiv der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin
aufbewahrt.
Rechts neben der Tür zur Terrasse steht
ein Relief des Wissenschaftlers, von seinen Schülern 1897 anlässlich der
Übernahme des neuen Institutsgebäudes in Leipzig in Auftrag gegeben. Links
neben der Tür gibt eine Tafel Auskunft über wesentliche Daten in Ostwalds
Leben. Darüber ist ein Laborbuchzitat Ostwalds zu lesen: Gute Theorie muss alsbald zur Praxis führen. Man kann
ihren Wert geradezu daran ermessen.
Der nächste Raum auf unserem Rundgang befindet sich
bereits auf der Südseite des Hauses und öffnet den Blick durch die Flucht der
Bibliothekszimmer. Als kleine Bibliothek
enthält er Bände der Zeitschrift für
physikalische Chemie, die Reihe Klassiker
der exakten Wissenschaften, die Folge Große
Männer und ostwaldsche Werke zur
Naturphilosophie, außerdem Periodika, Berichte wissenschaftlicher
Gesellschaften u. a. Eine Vitrine birgt die Kopien von Nobelpreisurkunde und -medaille. Daneben
erinnern Versuchsanordnungen an die katalytische Ammoniakoxydation zu nitrosen Gasen als Ausgangsmaterial für die
Salpetersäuregewinnung und an Ostwalds Untersuchungen zur periodischen
Aktivierung und Deaktivierung von Metallen aus der Zeit um 1900, die
heute Bedeutung in der Korrosionsforschung gefunden haben.
In der anschließenden großen Bibliothek befindet sich der überwiegende
Teil der 14.000 Titel in 22.000 Bänden umfassenden Gelehrtenbibliothek. Über
40% davon stammen aus der Zeit vor 1900. Die Bände
stehen unverändert in der von Ostwald gewählten Anordnung. Ein PC erleichtert
heute das Auffinden eines gesuchten Bandes. In mehreren Vitrinen wird auf
Arbeitsgebiete Ostwalds zwischen 1906 und 1914 Bezug genommen:
die Weltspracheproblematik, die Weltfriedensbewegung, die Gründung bzw. Mitarbeit in diversen internationalen
Organisationen, die Arbeit im
Monistenbund und andere mehr.
Das folgende Zimmer enthält im wesentlichen zwei Vitrinen zu der von Ostwald gegründeten Institution Die Brücke - internationales Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit in München, die als weltweite Auskunfts- und Standardisierungsstelle konzipiert war, sowie zu Kontakten mit wissenschaftlichen und politischen Zeitgenossen.
Im letzten Zimmer dominiert die Farbe, soweit dafür neben den
Bücherregalen Platz bleibt. Farborgeln
mit genormten Farben - die größte enthält 2.520 Proben, Farbkästen, Ausfärbungen auf Wolle und Seide, Instrumentarien
zum Farbvergleich für Altöle und Kakao, Hautfächer, Farbkarten für Blütenfarben
sind nur einige der seinerzeit in Großbothen entwickelten und hergestellten
Anwendungen der ostwaldschen Farbenlehre. Daneben sind Beispiele von
Eigenbau-Instrumenten des Hausherren zu bewundern - auf einem Stück
Kistendeckel eine zylindrische Pappkonstruktion zum Farbenvergleich und daneben
der Nachbau in Metall und Glas aus der Werkstatt des einstmaligen Leipziger
Institutsmechanikers Köhler.
Etwa 90 Minuten dauert eine normale Führung. Wenn man es darauf anlegt und die Museumsleiterin zum Öffnen der Schränke animiert, können es auch drei und mehr Stunden werden.
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